Wie freies Denken kaputtgemacht wird
Was Professor Norbert Bolz in seinem Essay ,,Wer hat Angst vor der Philosophie?” für das 2. Programm des Südwestrundfunks darstellt, zeigt auf, warum ,,die" Wahrheit in unser Mediengesellschaft kaum noch eine Chance hat, akzeptiert zu werden. Bolz ist Professor an der Technischen Universität Berlin und dort am Institut für Sprache und Kommunikation tätig. Der Medien-Wissenschaftler arbeitet in seinem Essay heraus, wie heute eine öffentliche Meinung entsteht, und was sie überhaupt darstellt. Bolz: ,,Öffentliche Meinung ist also nicht das, was die Leute meinen, sondern das, was die Leute meinen, ,was die Leute meinen’."
Massenmedien würden heute darüber informieren, was die meisten Menschen meinen - z. B.: Es gebe eine Umweltkatastrophe. Sie würden die öffentliche Meinung organisieren und Sachverhalte in das Muster ,,dafür sein" oder ,,dagegen sein" einpassen. Wer nicht gegen Atomkraft ist, ist automatisch dafür. Doch stimmt das? Bolz: ,,Und genau hier schlägt die Freiheit in Sklaverei um. Aus Angst davor, sich mit der eigenen Meinung zu isolieren, beobachtet man ständig die öffentliche - was man so sagt und meint."
Bolz macht noch auf einen weiteren wesentlichen Punkt aufmerksam, der systematisch freies Denken unterdrücke: die Politische Korrektheit. Hinter diesem modernen Schlagwort verbirgt sich die Sicht, möglichst keine Kritik mehr zu üben, die irgendjemand verletzen könnte. Bolz zur Politischen Korrektheit: ,,Längst haben Funktionäre der Politischen Korrektheit die Stellen der sozialen Kontrolle dessen besetzt, was als diskutabel gilt. Damit koppeln sie die Moral vom gesunden Menschenverstand ab. Der Politischen Korrektheit geht es nicht darum, eine abweichende Meinung als falsch zu erweisen, sondern den abweichend Meinenden als unmoralisch zu verurteilen. Man kritisiert abweichende Meinungen nicht mehr, sondern hasst sie einfach.” Dadurch entstehe ein Prozess des Zum-Schweigen-Bringens der abweichenden Meinung. Nach Ansicht des Berliner Medien-Wissenschaftlers hätten selbst viele Professoren heute nicht mehr den Mut, gegen eine verbreitete Meinung aufzustehen und etwas anderes zu behaupten. Bolz: ,,Man stelle sich vor, jemand würde sagen: Die Klimapolitik ist das Produkt einer politischen und medialen Angstindustrie, die uns Hilflosigkeit beibringt und unsere Unsicherheit ausbeutet. Würde jemand derartiges äußern, dann wäre das Urteil der Öffentlichkeit klar: ein Reaktionär [jemand, der nicht mehr zeitgemäß ist].”
Für den Wissenschaftler ist völlig klar, was dem heute blüht, der selber denkt und die Ergebnisse auch sagt oder schreibt: Um diesen Menschen wird es schnell einsam, weil man mit ihm nichts mehr zu tun haben möchte: ,,Es geht um den Mut zur Wahrheit und die Freiheit, nein zu sagen. Dazu sind Tugenden erforderlich, die nicht zufällig sehr antiquiert klingen: Freimut und Redlichkeit, Leidenschaft und Enthusiasmus, vor allem aber auch Eigensinn. In den Parlamenten wird man danach genau so vergeblich suchen, wie in den Redaktionen und Fakultäten. Denn Karrierepläne vertragen sich heute nur schlecht mit diesen Tugenden.” Für Bolz ist u. a. das der Grund, warum es keine großen Denker mehr gibt: ,,Niemand wagt es, einem unabhängigen Gedankenzug zu folgen. Abweichende Meinungen, die sich noch aus der Deckung wagen, werden sozial bestraft.”
Wie eine solche Abstrafung ganz praktisch in den Medien erfolgt, konnten Zuschauer des Ersten Deutschen Fernsehens ARD am 14. April 2012 im ,,Wort zum Sonntag" studieren. Dort machte der katholische Theologe Dr. Wolfgang Beck deutlich, dass er Klarheit und Eindeutigkeit nicht sympathisch findet. Man solle stets ein Fragender bleiben, dann sei man auf der richtigen, menschlichen Seite. Beck folgte exakt dem Muster, das Professor Bolz so sehr kritisiert: Wenn Du nicht dafür bist, kannst Du nur dagegen sein - und deshalb bist du ein Böser und musst bestraft werden. Der katholische Pfarrer formulierte das in seinem Fall so: ,,Egal, ob Piusbrüder, ob evangelikale Gruppierungen oder muslimische Salafisten, denen wir in diesen Wochen in den Fußgängerzonen begegnen können: Sie alle haben mehr gemeinsam, als ihnen wahrscheinlich lieb ist: Vor allem dieses Bemühen um größtmögliche Eindeutigkeit. Alle Kraft wird da hinein gesetzt, dass das Leben völlig übereinstimmt mit dem, was gepredigt wird." Die Botschaft war klar: Wer sich für ,,die” Wahrheit - egal wie sie aussieht - mit ,,größtmöglicher Eindeutigkeit" einsetzt und danach lebt, ist grundsätzlich ein gefährlicher Radikaler, vielleicht sogar ein Terrorist muslimischer Prägung.
Wie schrieb Professor Bolz: ,,Der Politischen Korrektheit geht es nicht darum, eine abweichende Meinung als falsch zu erweisen, sondern den abweichend Meinenden als unmoralisch zu verurteilen. Man kritisiert abweichende Meinungen nicht mehr, sondern hasst sie einfach.”
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