Ostern und der milde Westen

Ostern ist - rein theoretisch - ein guter Anlass, sich mal zumindest gedanklich mit dem Schicksal der Christen in der Welt auseinander zu setzen. Denn während in Westeuropa Osterhase und bunte Eier ganz klar das öffentliche Bild bestimmen, werden in weiten Teilen der übrigen Welt Menschen schonungslos massakriert wegen eines Glaubens, der bei der Gestaltung der westlichen Welt eine wesentliche Rolle spielte, heute aber von dieser für de facto bedeutungslos erklärt wird.

Ein einziger Tag dieser Woche versinnbildlicht diesen Trend. Am Gründonnerstag vergangener Woche machten viele Unternehmen in Radio und Fernsehen in sehr offensiver Weise Werbung für das Ostergeschäft. In Newslettern aus dem englischsprachigen Raum bekomme ich zudem regelmäßig die Information, dass es nach "Good Friday (Karfreitag)" ganz sicher einen "Great Saturday" (großartigen Samstag) geben werde. Anderswo auf der Welt, etwa in Kenia, wird der Gründonnerstag in Zukunft einen ganz anderen Beiklang haben.

Als am letzten Donnerstag eine Dschihadistengruppe der mit Al-Qaeda verbundenen Terrormiliz Al-Shabaab den Campus der Garissa-Universität in Kenia betrat, rannten Studenten um ihr Leben. Die Bewaffneten selektierten ihre Ziele anhand der Religion. Sie gingen von Raum zu Raum und fragten die Studenten nach ihrem Glauben. Wie die BBC berichtet, wurden diejenigen, die Fragen über den Islam beantworten konnten und also Muslime waren, verschont. Diejenigen, die das nicht konnten und also Christen waren, wurden ermordet. Der stellvertretende Vorsitzende des Studentenwerks, der Zeuge der Grausamkeit wurde, beschreibt, was er sah: "Wer Christ war, wurde sofort erschossen."

Die angewandte Taktik und die anhand der Religion vorgenommene Trennung in Überlebende und Opfer erinnern an andere Gräueltaten der jüngsten Zeit. In Kenia aber ruft die Tat vor allem Erinnerungen an das Massaker im Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi wach, wo 2013 67 Menschen kaltblütig ermordet wurden. Auch damals durften Muslime fliehen, während Christen abgeschlachtet wurden. Die kenianischen Behörden vermuten denselben Drahtzieher - Mohammed Mohamud - hinter beiden Anschlägen.

Die Zahl der Todesopfer am Donnerstag war sogar noch höher als 2013 in Nairobi. Nach Angaben der Behörden wurden bis zu 148 Menschen – die meisten von ihnen Studenten, dazu zwei Wachleute – an dem Ort ihres Studiums getötet.

Auch wenn die Welt nun womöglich wieder einmal kurz ihre Aufmerksamkeit auf Kenia richtet, zeigt sie doch den Opfern der Gewalt die kalte Schulter. So, wie der Präsident der Vereinigten Staaten nicht den religiösen Antrieb zugeben will, der dazu führt, dass in einem koscheren Supermarkt in Paris "zufällig anwesende Leute" (Obammy: "random folks") erschossen werden, so weigert sich die ganze Welt ebenfalls nicht den Grund anzuerkennen, warum Christen in diesem globalen Konflikt stets an vorderster Front stehen. Als Boko Haram letztes Jahr im Norden Nigerias 300 Schülerinnen entführte, benannte fast keine der großen Zeitungen der Welt – und keiner der wichtigen Staatsmänner – die einfache Tatsache, dass diese Schülerinnen entführt wurden, weil sie Christen sind.

So war es auch, als der IS im Februar 21 Männer an der libyschen Küste vorführte, ihre Köpfe abschnitt und mit ihrem Blut das Mittelmeer färbte: Der größte Teil der Weltpresse und fast alle Staatsmänner der Welt – auch die der freien Welt – nannte die Opfer "Ägypter". Aber was diese Männer unterschied, was in den Augen des IS den wichtigen Unterschied machte, war nicht, dass sie Ägypter, sondern dass sie Kopten – also Christen – waren. Was würde Obammy wohl sagen, wenn jemand die einst in Amerikas Südstaaten gelynchten Schwarzen als "zufällig anwesende Leute" oder einfach als "Amerikaner" bezeichnen würde?

Auch im Rahmen des jüngsten Massakers in Kenia wird diese Tatsache wieder keine Rolle spielen. Al-Shabaab freilich hat kein Problem damit, sie zu betonen. Ihr Sprecher prahlte unverhohlen mit der religiösen Motivation des Anschlags auf Garissa – schon, als dieser noch im Gange war: "Es sind viele Leichen von Christen im Gebäude", sagte er. "Wir haben auch viele Christen lebendig gefangen."

In diesen Anfangstagen des weltweiten Kriegs gegen die totalitären Ansprüche des islamischen Fundamentalismus lassen sich bestimmte Muster ausmachen. Einige davon, wie der Blutdurst unserer Feinde, sind leicht zu erkennen. Andere Muster jedoch sind schwerer zu identifizieren, weil es sich um Muster handelt, für die nicht sie, sondern wir selbst verantwortlich sind – etwa unsere Motive dafür, solches Verhalten zu tolerieren, schön zu reden und damit letztlich auch zu ermöglichen.

Wer kann mir beispielsweise erklären, warum der Westen so unglaublich widerwillig ist, wenn es darum geht, die Motive der Killer zu benennen? Kann irgendjemand erklären, warum der Westen für das, was sie tun, ausgefallene Entschuldigungen anführt, obwohl die Mörder selbst glasklare Motive angeben? Wenn die Opfer Juden sind, wollen wir nicht, dass sie Juden sind – bloß "zufällig anwesende Leute". Wenn die Opfer Christen sind, wollen wir nicht, dass sie Christen sind – bloß "Ägypter".

Und die ganze Zeit über gibt es "andere Dinge", die wir für wahr halten wollen. Im Zuge der im Februar verübten Anschläge in Kopenhagen etwa wurden überall in Europa die Sicherheitsvorkehrungen von jüdischen Einrichtungen verschärft. Nur sehr wenig davon war im Fokus des Medieninteresses. Aber als es in Norwegen eine kleine Initiative gab, die für einige Stunden eine symbolische Menschenkette um eine Synagoge bildete, und an der u.a. auch einige Muslime teilnahmen, da bekam diese Story Schlagzeilen und Berichte rund um die Welt. Das soll nicht heißen, dass solche Initiativen nicht gut seien und keine Anerkennung verdienten. Doch sie sind doch vergleichsweise winzige Lichtflecken, denen ein erstaunliches Maß an Aufmerksamkeit gewidmet wird, welches angesichts der vorherigen Ignoranz völlig unverhältnismäßig wirkt.

Wenn Muslime Christen oder Juden gezielt angreifen, heißt die Devise: "Konzentriert euch nicht auf die Motive der Muslime." Wenn Muslime Christen oder Juden verteidigen, heißt es: "Versucht auf Teufel komm raus das richtige Motiv zu finden."

Traurigerweise belügen wir uns selbst. Es ist möglich, dass unsere Politiker glauben, sie dürften nicht zugeben, von welchen religiösen Motiven und welchem kranken Geist die Dschihadisten getrieben sind, weil dies zu einer furchtbaren Reaktion gegen alle Muslime führen könnte. Eine große Fehleinschätzung wie ich meine. Nicht nur, weil eine solche Reaktion in der entwickelten Welt höchst unwahrscheinlich ist, sondern auch, weil es viele Menschen gibt, die mit eigenen Augen sehen, was vor sich geht. Diejenigen, die an vorderster Front leben, in Kenia, Libyen, Ägypten, Südsudan, Nigeria, Syrien, dem Irak und vielen anderen Ländern, wo Menschen getötet werden, weil sie Christen sind, sehen es klarer als irgendjemand sonst.

Auf all das gibt es kaum einfache Antworten. Doch ein kleiner Schritt in die richtige Richtung wäre es, sich dem Problem zu stellen und das in unserer Macht Stehende für die Opfer zu tun. Mein eigener Vorschlag wäre, dass die Menschen, ob religiös oder säkular, statt am "großartigen" Samstag oder Sonntag einkaufen zu gehen, sich an Ostern die Zeit nehmen, an die christlichen Gemeinden weltweit zu denken, die dieses Fest umgeben vom Wahnsinn völlig ungebremster Gewalt feiern müssen - und das ihnen Mögliche tun, um ihnen zu helfen.

Es ist eine schlimme Tragödie, dass zweitausend Jahre nach der Passion, Christen ihres Glaubens wegen wütender verfolgt und getötet werden denn je. Das Einzige, was diese Tragödie noch größer macht, ist, dass die Welt nicht zugeben will, warum diese Christen sterben.

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