Wenn Glück durch den Magen geht

In den zurückliegenden Weihnachtsfeiertagen dürfte wie jedes Jahr in den allermeisten Haushalten dieser Nation das Essen eine entscheidende Rolle gespielt haben. Nicht nur das Weihnachtsmahl ist für viele mit ganz besonderen Erinnerungen und Gefühlen verbunden. In seinem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" lässt Autor Marcel Proust den Erzähler davon berichten, wie eine in Tee getunkte Madeleine ungeahnte Glückgefühle frei setzen kann, wenn man nach einem zermürbenden Tag entkräftet nach Hause zurückkehrt. Dabei ist es gar nicht so sehr der süße Geschmack des französisches Feingebäcks, sondern die dadurch ausgelöste Erinnerung an seine Jugend und die Sonntagmorgende bei seiner Tante auf dem Land, die eben jene Glücksgefühle auslösen. Ein schönes Beispiel dafür wie Essen uns glücklich machen kann.

Geschmack ist ein sehr effizienter Katalysator für Erinnerungen. Erdbeeren lassen uns vielleicht an einen ganz besonderen Sommer, der Sonntagsbraten an eine unterhaltsame Familiengeschichte und der Geburtstagskuchen an ein eindrückliches Erlebnis aus der Kindheit zurückerinnern. Der "unfreiwillige Moment der Erinnerung", wie Proust ihn bezeichnet, kann zumindest teilweise auch durch unbewusste mentale Prozesse erklärt werden, wenn es nach der Geruchsforschung geht. Die will nämlich heraus gefunden haben, dass Geruch der maßgeblichste Sinneseindruck bei der Wahrnehmung guten Geschmacks ist und im Gehirn, anders als andere Sinneseindrücke, starke emotionale Reaktionen und Erinnerungsprozesse in Gang setzt.

Natürlich ist es hilfreich, dass die weiter oben erwähnten Speisen im Regelfall sehr gut schmecken. "Leckeres Essen ist einer der universalsten Wege zu reinem Vergnügen", lautet die These des renommierten Psychologen Morten Kringelbach, der sich an der Oxford Universität bereits seit einiger Zeit mit der Neurowissenschaft des Glücklichseins beschäftigt. Das Essen stellt aus diesem Grund die Basis der meisten wissenschaftlichen Experimente dar, die versuchen zu ergründen warum sich gerade dabei dieses warme, kaum zu beschreibende Gefühl der Wohlergehens einstellt. Vergnügen wird dabei immer als eine essentielle Komponente des Glücklichseins angesehen: Der Anblick wohlschmeckender Speisen regt das Belohnungssystem an, die Dopaminausschüttung erzeugt eine verlangende Erwartungshaltung. Wenn wir dann schließlich tatsächlich essen werden körpereigene Opiate, quasi von unserem Gehirn produzierte Drogen ausgeschüttet.

So schön sie auch sein mögen, diese Glücksgefühle sind nur temporär und wer in Erwägung ziehen sollte sich durch die permanente Zufuhr von Kuchen und Junk Food in einen permanenten Sinnesrausch zu versetzen, der riskiert damit die Entstehung einer unkontrollierbaren Fresssucht und von - Schuldgefühlen. Ja tatsächlich. Es sei unser Wissen um diese Lebensmittel und ihre Wirkung auf uns, die uns letztlich nach dem Rausch einen emotionalen Dämpfer verpassen. Das jedenfalls wollen Psychologen der Universität Cardiff herausgefunden haben, die einer Testgruppe in England über einen Zeitraum von zehn Tagen jeweils Chips und Schokocrossies zur klassischen Five-o-clock Teetime reichte, während die andere Testgruppe Obst erhielt. Am Ende zeigte sich die Chips Gruppe müder und gereizter, während die Obst Gruppe weniger anfällig für emotionalen Stress zu sein schien.

Aber mal ganz abgesehen von diesen Gewissensfragen ist es einfach auch eine erwiesene Tatsache, dass eine ausgewogene Ernährung natürlich gesünder für uns ist. Ballaststoffe fördern beispielsweise in verschiedener Hinsicht die Verdauung. Vitamin B12, welches wir mit Fleisch, Fisch, Käse und Eiern aufnehmen, sorgt für die Aufrechterhaltung wichtiger Gehirnfunktionen auch im hohen Alter. Defizite dieses Vitamins konnte man bereits mit dem Hang zu Depressionen in Verbindung bringen.

Gutes, gesundes Essen bereitet also Vergnügen. Aber macht es auch glücklich? Ein wichtiger Bestandteil des Glücklichseins ist sicherlich ebenfalls ein gewisses Gefühl der Sinnhaftigkeit. Und da kommt das Kochen ins Spiel. Das Buch "Saved by Cake" stammt aus der Feder der irischen Autorin Marian Keyes. Sie schrieb es vor einigen Jahren, nachdem sie durch das Backen von Kuchen eine schwere Depression überwunden hatte. An den meisten Tagen hatte sie kaum die Kraft gefunden aus dem Bett aufzustehen. Bis sie mit dem Backen begann. Ihre Erfahrungen hielt sie in einem Blog fest: "Ich fing an Kuchen zu backen, denn ich war unfähig irgendetwas anderes zu tun und es beruhigte mich und rettete mich durch den Tag."

Für Psychologen ist eine solche Geschichte keine große Überraschung. Christina Bermeitinger ist Psychologie-Professorin an der Universität Hildesheim und hat als Resultat eines Projektes mit ihren Studenten das „Kochbuch der Gefühle" heraus gebracht. "Das Zubereiten, Teilen und Essen von selbst zubereiteten Gerichten ist so wertvoll", sagt sie, "weil es so viel Deckungsgleichheit mit dem gibt was uns menschlich sein lässt - zu lieben, zu planen, zu versorgen, zu genießen und zu teilen."

Hobbies wie Modellbau oder Gartenarbeit sind sicherlich entspannend und helfen dabei abzuschalten, Kochen dagegen hat so viel mehr zu bieten. "Es bereitet nicht nur Vergnügen", so Bermeitinger, "sondern ist quasi eine lebenswichtige Fähigkeit. Es ist elementar, man kümmert sich nicht nur um sich selbst sondern auch um andere."

Kombiniert man die skizzierten Aspekte mit der Erkenntnis, dass zuhause zubereitetes Essen tendenziell gesünder ist, dann haben wir damit den ernährungswissenschaftlich-psychologischen Jackpot geknackt. So will eine Studie der "Deutschen Gesellschaft für Ernährung" kürzlich heraus gefunden haben, dass in den eigenen vier Wänden zubereitetes Essen nicht nur gesünder, sondern auch verknüpft ist mit intensiveren, positiveren Emotionen.

Auch wenn sich dieses Studienergebnis nicht unbedingt auf einen gelungenen Abend mit Risotto alla Milanese und einem Glas Merlot aus der Toskana bei Ihrem Stammitaliener bezieht - ein Trend ist erkennbar. Gute Ernährung hat einen wesentlichen Einfluss auf unser körperliches und seelisches Wohlergehen. Schon der „Vater der Medizin" Hippokrates soll empfohlen haben, bei Depressionen Eselsmilch zu trinken. Natürlich werden sich bei niemandem wegen der falschen Ernährung gleich Angststörungen oder Depressionen einstellen. Aber die richtige Ernährung scheint eben doch ein wichtiger Faktor zu sein. Oder um es mit Hippokrates zu sagen: Die Eselsmilch ist im Zweifel vielleicht das Zünglein an der Waage. Denn dass Essen unbeschreiblich positive Emotionen auslösen kann, haben wir alle bereits beim ersten Schluck Milch unseres Lebens gemerkt.

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