Vollendete Braukunst: Barrel Aged Beers

Bier hängt so ein bisschen der Ruf des Proletarier Getränks an. In der Oettinger Variante ein wahrlich preisgünstiger Durstlöscher. Aber eben auch ein eher gewöhnlicher. Nichts Außergewöhnliches, kein feierliches Tröpfchen für den besonderen Moment. Also nicht zu vergleichen mit den anderen geistigen Getränken, denen man zu festlichen Anlässen den Vorzug gibt. Jedermann weiß, dass edle Weine wie Bordeaux, Port und Sherry oder teure Destillate, sei es Rum, Cognac, Obstbrand oder natürlich Whisky, erst durch eine lange Lagerung im Holzfass den entscheidenden Ritterschlag erhalten, um in einem glanzvollen Moment im Glas mitglänzen zu dürfen. Dass dies auch undestilliertem Gerstensaft widerfahren kann, diese Erkenntnis ist hingegen nicht so weitverbreitet. 

Bereits in der Antike benutzte man Holzfässer zur Lagerung und zum sicheren Transport von Getränken. Das gilt natürlich auch für Bier, das sich jedoch in zwei Merkmalen von  Wein und Spirituosen unterscheidet. Zum einen hat es normalerweise deutlich weniger Alkohol. Das macht es anfällig für Fremdkeime, die sich allenthalben im Holzfass befinden. Zum anderen sollte Bier – zumindest aus der Sicht heutiger Konsumenten – rezent sein, also Kohlensäure enthalten. Letztere entbindet sich bei druckloser Lagerung und höheren Temperaturen oder Erschütterungen leicht. Das Bier wird schal. 

Damit sich die Holzfässer für die Bierlagerung etwas besser eigneten, wurden sie gepecht, also von innen mit flüssigem Teer ausgeschwenkt. Das bewirkte jedoch, dass die Biere nicht mehr mit dem Holz interagieren konnten. Bei Pils, Hellem und Weißbier war das durchaus erwünscht. Diese Fässer fanden bis in die 1970er Jahre noch Verwendung. Dann wurden sie schließlich durch billigere, pflegeleichtere und beständigere Behältnisse aus Aluminium oder Edelstahl ersetzt. Ein großer Vorteil dieser KEGs ist, dass sie druckfest sind, sich also kein klimaschädliches CO2 unkontrolliert aus dem Bier entbindet. Erst das garantiert perlig-frischen Biergenuss aus dem Zapfhahn. Wer schon einmal in einem englischen Pub ein traditionelles Real Ale verzehrte, kann gut nachvollziehen, wie wenig spritzig auch bei uns das herkömmliche Fassbier gewesen sein muss. Dieses Bier wird drucklos gelagert und vom Wirt per Hand aus dem Fass gepumpt.

Mit dem Auftauchen der Craftbeer-Bewegung hat auch die Holzfasslagerung von Bier eine Renaissance erfahren. Die kreativen, neugierigen Brauer experimentieren zumeist mit vorbelegten Whisky-, Rum- oder Dessertweinfässern, die natürlich nicht nur Holzaromen abgeben, sondern auch die Aromatik des zuvor darin verweilenden Getränkes. Das wiederum ruft zum Beispiel enthusiastische Whiskytrinker und -sammler auf den Plan, die sich für diese Biere interessieren und, weil Gaumen und Zunge bereits geschult sind, die feinen Nuancen erleben und sie zu schätzen wissen. Je schneller das Fass mit Bier gefüllt wird, desto mehr ist von der vorherigen Befüllung präsent. 

Für Destillate liegt der optimale Alkoholgehalt bei der Fasslagerung bei rund 60 Prozent Volumenalkohol. Wenn das Fass nach der Entleerung unmittelbar wieder mit Bier gefüllt wird, zieht Alkohol, der die Fassdauben tief getränkt hat, ins Bier, um das Alkoholgefälle auszugleichen. Je nach Destillat, Biersorte und vor allem Fassgröße kann das Bier dadurch einige Volumenprozent hinzugewinnen. Da sich ohnehin nur Biere mit höherem Alkoholgehalt für die Fasslagerung eignen, haben fassgelagerte Biere bei der Abfüllung oft deutlich über zehn Prozent und sind in dieser Hinsicht durchaus mit Weinen vergleichbar. Diese Biere sind sehr robust und eignen sich für eine mehrjährige Einlagerung im dunklen, kühlen Bierkeller. 

Naturgemäß ist die Aromatik bei diesen Barrel-Aged-Bieren sehr komplex und unterschiedlich. Jedes Holzfass ist einzigartig und gibt entsprechend unterschiedliche Aromen an das Bier ab. Erheblich ist dabei natürlich, welches Getränk vorher im Fass lagerte. Auch wenn nur stärkere Biere verwendet werden sollten, hat der Brauer dennoch eine riesige Bandbreite: klassische deutsche Starkbierstile wie Bockbier, Doppelbock, Eisbock oder Weizenbock, englische Ales wie das Imperial Stout, Strong Ale, Double IPAs oder belgische Triples oder Dubbels und noch viele mehr eignen sich grundsätzlich für die Veredelung im Holzfass und sorgen für die maßgebliche geschmackliche Prägung. Das Holz des Fasses selbst ist zudem auch bei der Zweitbelegung nicht ganz untätig. Beispielsweise sorgen Fässer aus amerikanischer Eiche, üblicherweise vorbelegt mit Bourbon oder Tequila, für einen leichten laktischen, also milchartigen Ton, der hervorragend mit Imperial Stouts und Doppelböcken harmoniert und sie im Abgang abrundet. 

Die Entwicklung der Fassreifung muss regelmäßig sensorisch beobachtet werden. Das hört sich verlockend an, ist aber für beteiligte Brauer und Biersommeliers harte Arbeit und erfordert einen geübten Gaumen und viel Erfahrung. Verkostet wird normalerwiese morgens, da Geruchs- und Geschmackssinn dann vom Tagesgeschehen weitestgehend unverfälscht und am sensibelsten sind. Bei der Lagerung durchläuft das Bier qualitativ eine sich zunächst aufbauende, dann abflachende Sinuskurve und es gilt, die geschmacklich höchsten Peaks genau abzupassen, sodann die Fassreifung abzubrechen und den Zaubertrank auf Flasche zu ziehen, natürlich nicht ohne ihn vorher mit CO2 anzureichern und somit von seiner Schalheit zu erlösen. 

Die Fässer sollten höchstens zweimal mit Bier belegt werden. Dann sind sie ausgelaugt und enden zumeist als Deko oder Regentonne im Garten. Im alten Griechenland sollen sich auch schon besserwisserische Landstreicher häuslich darin eingerichtet haben. Möglicherweise offenbart sich hier eine Lösung für den planwirtschaftlich organisierten Wohnraummangel in unseren beliebten Metropolen.

Zuweilen werden die Fässer jedoch auch wieder mit Destillat belegt und damit wird es dann richtig sustainable. Immer beliebter wird das Finishing von Whiskys, die nach der eigentlichen langanhaltenden Reife im (zumeist) vorbelegten Bourbon-Fass dann noch einmal einen Feinschliff beispielsweise in Rotwein, Port- oder Sherry-Fässern bekommen. Zunehmend rücken auch vorbelegte Bierfässer in den Fokus der Finisher und so könnte eine Belegungsreihenfolge folgendermaßen aussehen:  1st Fill: Bourbon Whisky – 2nd Fill: Single Malt Highland Scotch – 3rd Fill: Imperial Stout Bier – 4th Fill: Single Malt Islay Scotch (Finishing) – 5th Fill: Regenwasser beziehungsweise Diogenes und Co.

Holzfassgelagerte Biere sind eine noch nicht sehr verbreitete Spezialität. Es sind naturgemäß immer Kleinstauflagen und -serien, und selbst wenn eine Brauerei dauerhaft zum Beispiel einen Bourbonbock anbietet, ist dieser von Charge zu Charge unterschiedlich. Vor dem Gaumen des neugierigen Bierfreundes breitet sich also eine ausgiebige Genusslandschaft aus, die es zu erwandern gilt. Wann immer ein holzfassgereiftes Bier den Wanderweg kreuzt, sollte man es freudig begrüßen und verinnerlichen. Gefällt es Ihnen, horten Sie ruhig ein paar Flaschen für besondere Anlässe, die – und da bin ich zuversichtlich – zukünftig zunehmen werden. 



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