Die innere Zensur – Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Pluralismus abgebaut hat

Der Fall um das Format klar und seine ehemalige Moderatorin Julia R. ist kein Medienskandal, der sich in Personalien erschöpft. Er ist ein sichtbares Symptom eines strukturellen Problems: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die Fähigkeit zum Pluralismus nicht verloren – er hat sie aktiv aufgegeben. Nicht durch äußeren Druck, sondern durch einen inneren Prozess der Homogenisierung, der heute als „Haltung“ ausgegeben wird.

Die Bedrohung kommt von innen

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, der ÖRR kämpfe mit rechten Angriffen oder müsse sich gegen „Propaganda“ behaupten. Die Wahrheit ist eine andere: Die größte Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt nicht von außen, sondern aus seinen eigenen Redaktionsstuben. Nicht die Gegner am Rand zerstören das Vertrauen in diese Institution – sondern die Wächter in der Mitte, die jede Abweichung als Makel betrachten.

Was am Format klar geschah, ist entlarvend. Es war von Beginn an kein Versuch, echten Diskurs zuzulassen, sondern ein strategisches Manöver: Man wollte den Vorwurf der Einseitigkeit entschärfen, ohne die Einseitigkeit aufzugeben. Julia R. verstand sich nicht als Gegenstimme, sondern als innerer Verteidiger des Systems. Ihr erklärtes Ziel war es, „Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen“. Doch selbst dieses Feigenblatt hielt der inneren Logik des Apparats nicht stand. Die radikalisierte Loyalität, die nach innen wirkt, duldet keine taktische Öffnung nach außen.

Der Rundfunk als moralische Ordnung

Denn der ÖRR ist längst keine journalistische Arena mehr, in der Perspektiven ringen. Er ist eine moralische Ordnung geworden. Aktivismus wird nicht abgelehnt – er wird nur exklusiv. Wer offen konservativ argumentiert, gilt als „Populist“. Wer liberal-konservativ moderiert, gilt als „Risikofaktor“. Wer linke Doktrinen bestätigt, gilt als „Haltungsjournalist“. So entsteht keine Vielfalt, sondern ein System, in dem sich das Individuum dem Kollektiv der Redaktion unterwerfen muss.

Cancel Culture ist unter diesen Bedingungen kein neues Phänomen, sondern die natürliche Funktionsweise der Institution. Sie ist die letzte Bastion eines Apparats, der seine Legitimität nicht mehr aus öffentlicher Zustimmung bezieht, sondern aus moralischer Selbstbestätigung. Die internen offenen Briefe, Distanzierungen, gelöschten Mitschnitte und Boykotte lassen sich nicht als „Überreaktionen“ abtun. Sie sind Ausdruck eines Systems, das die Existenz von Dissens als Gefahr interpretiert.

Der Mythos der Reformierbarkeit 

Der Mythos der Reformierbarkeit hält sich dennoch hartnäckig: Man müsse nur verständiger argumentieren, nur die „bürgerliche Mitte“ einladen, und schon könne der ÖRR sich erneuern. Doch das verkennt die tatsächliche Statik des Systems. Wer sich als moralische Instanz versteht, sieht in Kritik keine Chance – sondern Ketzerei. In einer Struktur, die von moralischer Überlegenheit lebt, ist Pluralismus kein Angebot, sondern Verrat.

So erfüllt sich am Ende eine stille Ironie: Gerade jene, die sich gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wenden, müssen ihm dankbar sein. Denn durch seine Unnachgiebigkeit treibt er jene Menschen fort, die er belehren wollte. Er schafft die Gegenöffentlichkeit, die er fürchtet. Nicht aus Absicht – sondern aus Selbstgefälligkeit.

Die letzte Lehre des Systems

Vielleicht ist dies der letzte Dienst, zu dem diese Institution noch fähig ist: Sie zwingt uns, Öffentlichkeit neu zu denken – jenseits von Anstalten, Gebühren und Haltungsjournalismus. Pluralismus entsteht nicht mehr durch redaktionelle Gnade, sondern durch den Entzug der Aufmerksamkeit.

Der ÖRR hat seine Entscheidung getroffen: Reinheit vor Vielfalt.
Dann liegt es an uns, uns ebenso zu entscheiden – für Freiheit vor Ritual.

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