Who watches the watchmen?
In einem demokratischen Rechtsstaat gilt als legal, was nicht durch ein Gesetz ausdrücklich untersagt ist. Ein unscharfes, zweites Recht, das potenziell jeden politischen Gegner ins Visier kann, wird nur von Diktaturen geschaffen. Genau dies jedoch scheint der Verfassungsschutz gegenwärtig zu praktizieren.
Deutschland scheint derzeit dem demokratischen Rechtsstaat mehr und mehr zu entwachsen. Dramaturgisch zugespitzt könnte man fragen, ob es sein kann, dass sich Deutschland von einer Demokratie in eine Diktatur verwandelt.
Genau wie die Augen das Fenster zur Seele sind, so lässt einen die Sprache in die Seele eines Volkes und einer Epoche blicken. Deshalb sollten wir genauestens auf die Sprache unserer Zeit und ihrer Institutionen achten!
Herr Haldenwang vom berühmt-berüchtigten deutschen Inlandsgeheimdienst wird derzeit vom deutschen Staatsfunk mit bemerkenswerter Gelassenheit zitiert. Es heißt, man wolle – mit geheimdienstlichen Mitteln, versteht sich! – Aussagen im Auge behalten, die zwar »noch keine strafrechtliche Relevanz« haben, jedoch »staatswohlgefährdend« sein könnten.
Spätestens hier müssten bei echten Demokraten wirklich alle Alarmglocken schrillen. Denn das grundlegende, entscheidende Merkmal eines Rechtsstaats ist, wie der Name bereits besagt, die Etablierung eines verlässlichen Rechts. In einem Rechtsstaat ist klar definiert, was erlaubt ist und was nicht. Als Faustregel gilt: was nicht verboten ist, gilt als erlaubt. Was aber genau verboten ist, entscheidet nicht ein einzelner Behördenchef, sondern die von uns gewählten Volksvertreter in einer frei geführten Debatte.
Der deutsche Inlandsgeheimdienst ist gerade dabei sich Kriterien zu erschaffen, die mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ein Parallelrecht etablieren. Man demonstrierte das zuletzt am Begriff "Delegitimierung", der quasi jede Staatkritik umfassen kann. Unklare Rechtsbegriffe, die willkürlich festgelegt werden und jede Staatskritik umfassen können - klingt das für euch nach einer Demokratie?
Wie man es in den letzten Wochen immer wieder bestätigt bekam, dürfen Politiker das unliebsame Wählervolk nach Belieben als "Schmeißfliegen" oder "Ratten" beschimpfen. Traut sich aber ein Bürger zurückzuschießen, dann greift umgehend §188 des Strafgesetzbuches, der natürlich nur bei der Beleidigung von Politikern greift.
Jetzt könnte der eine oder andere natürlich einwenden: "Warum die Aufregung, das war doch schon immer so?". Das stimmt so aber nicht. Dieses nur formal legale Unrecht namens "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" trat vor drei Jahren in Kraft. Natürlich kennt ihr das populäre Bonmot: "Kehrt der Faschismus zurück wird er sagen, er sei der Antifaschismus". Wenn ich mir den vor allem medial geführten Kampf gegen alles, was nicht regierungskonform ist so ansehe, dann scheint diese Zeit gekommen zu sein. Denn dass Politiker auch mal hart attackiert werden können, ist ein Merkmal demokratischer Strukturen. Störende Bürger als "Fliegen" und "Ratten" herabzuwürdigen ist eher ein Zeichen von... ihr könnt es euch denken.
Aber zurück zu Haldenwang und seiner Truppe: Die wollen nun also ein besonderes Augenmerk auf solche Meinungsbekundungen haben, die zwar legal aber nach Auslegung des Staatsphilosophen "staatswohlgefährdend" sind. Es zeichnet die Sprache des Rechts aus, dass sie im Interesse größtmöglicher Gerechtigkeit sehr präzise ist. Die Sprache des Unrechts ist dagegen bewusst schwammig. Es ist besonders tragisch, dass eine solche Sprache genau von der Behörde eingeführt wird, deren Ziel es eigentlich sein sollte, die Demokratie zu verteidigen. Wer verteidigt jetzt die Demokratie vor den Wächtern der Demokratie? Das Volk scheint dazu zermürbt von Existenzangst und einseitiger medialer Dauerbeschallung kaum mehr in der Lage.
Manchmal werde ich gefragt - gelegentlich von mir selbst - warum ich all das sage und schreibe, wenn ich es wirklich glaube. Nun ja, als erste Möglichkeit besteht durchaus die Möglichkeit, dass ich mich irre. Ich sehe zwar momentan keine konkreten Anzeichen dafür, würde mir aber sehr wünschen, dass es so ist. Vor allem in dieser Angelegenheit.
Zweitens wäre es möglich, dass die unheilvolle Entwicklung des schrittweisen Abbaus demokratischer Strukturen noch gestoppt werden kann. Möge es so sein!
Als dritte Möglichkeit verbleibt die Befürchtung, dass ich richtig liege und die skizzierte Entwicklung weiter geht und nicht zurückgefahren werden kann. Dann ist es sowieso egal, denn Diktaturen sind sehr nachtragend. Dann werde ich wohl irgendwann mit einem BS-Terminus wie "delegimierend" oder "staatswohlgefährdend" etikettiert.
Wie auch immer - jeder Tag kommt nur ein einziges Mal und wir haben nur dieses eine Leben. Was hätte dieses Leben für einen Wert, wenn man nicht alles dafür gäbe, der Stimme seines Gewissens zu folgen?
Kommentare