Corona - nichts Genaues weiß man nicht


Seit bald drei Wochen leben wir im Ausnahmezustand, in einer Corona-Phobie mit Horrormeldungen und Schreckensszenarien. Politiker und Epidemiologen forderten Mitte März eine scharfe Ausgangssperre wie in Italien, da sonst die Kapazitäten in deutschen Krankenhäusern in wenigen Tagen erschöpft seien; die Lage sei schon jetzt dramatisch, hiess es damals. Vierzehn Tage später sind von den 40.000 Intensivbetten in Deutschland nach Aussage von Gerald Gaß, dem Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), noch rund die Hälfte frei.
Vielleicht wird die Corona-Welle in den nächsten Tagen mit voller Wucht in den deutschen Krankenhäusern eintreffen, vielleicht auch nicht, man wird sehen. Immerhin hatte die Republik nun aber deutlich länger Zeit als gedacht, sich für die Aufnahme der Covid-19-Kranken zu rüsten und die Infrastruktur hochzufahren. In einem Land mit einem der besten und teuersten Gesundheitssysteme sollte das möglich sein.
Einsame Skeptiker
Die Bevölkerung hat den Ausnahmezustand und die massiven Einschnitte in ihr Leben bisher erstaunlich bereitwillig akzeptiert, und auch in der Politik herrscht noch immer eine fast unheimliche Einigkeit darüber, dass man die notrechtlichen Beschlüsse nicht hinterfragen dürfe. Daneben gibt es aber auch Stimmen, die den Gottesdienst stören. Die den Behörden Panikmache und Corona-Aktivismus vorwerfen. So der erfahrene Internist Dr. med. Claus Köhnlein aus Kiel, der an der außerordentlichen Gefahr durch das Virus zweifelt und auf die hohe Fehlerquote bei Tests hinweist. Auch andere Ärzte und Wissenschaftler halten die Corona-Gefahr für überschätzt und die drastischen Massnahmen zur Eindämmung für masslos überzogen. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der emeritierte Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, einer der bekanntesten Forscher dieses Landes, der in einem offenen Brief an die Kanzlerin grosse Fragezeichen hinter die Datenerhebung und die Hochrechnungen setzt. Doch Bhakdi und andere Skeptiker führen einen eher einsamen Kampf gegen die Deutungshoheit der Star-Virologen, die derzeit die öffentliche Bühne beherrschen.
Die Meinung, dass das neue Coronavirus gar nicht so schlimm sei, mutet ketzerisch an. Denn das hiesse, dass die Staaten ohne Not die Freiheitsrechte der Bürger aushebeln, das öffentliche Leben lahmlegen und eine Rezession herbeiführen, deren Folgen man sich gar nicht ausmalen mag. Es hiesse, dass sie eine unvergleichliche Dummheit begehen und im Panikmodus das tun, was die anderen Länder ebenfalls tun. Stimmt das? Regiert die Angst? Als medizinischer Laie weiss man nicht, wo die Wahrheit liegt und welche Experten am Ende recht bekommen werden. Zumal sich auch die Leuchttürme der Wissenschaftler untereinander widersprechen. So sieht sich etwa die renommierte Forschergruppe um Neil Ferguson vom Imperial College in London, die mit ihren rabenschwarzen Modellrechnungen die britische Regierung zu scharfen Schutzmassnahmen hat greifen lassen, mit geballter Kritik anderer Forscher konfrontiert, die die Annahmen für viel zu pessimistisch halten.
Mit oder durch Corona sterben?
Ob das Coronavirus einen gesundheitlichen Tsunami auslösen oder am Ende nicht viel schlimmer sein wird als eine Grippe, weiss heute niemand. Dass fast alle europäischen Staaten inklusive Deutschland drakonische Vorschriften von Schulschliessungen bis zu Kontaktverboten erlassen haben, ist auf die erschreckende Situation in Italien zurückzuführen, das unter der Pandemie leidet wie bisher kein anderes europäisches Land. Gleichzeitig zeigen die Daten des Istituto Superiore di Sanità (ISS), des obersten Gesundheitsamts Italiens, aber auch, dass das Virus fast ausschliesslich für alte Menschen mit Vorerkrankungen lebensgefährlich ist. Laut ISS liegt das Durchschnittsalter der mittlerweile über 11 000 Verstorbenen mit Covid-19 bei 78 Jahren. Der Anteil der 60- bis 69-Jährigen unter den Toten macht 11 Prozent aus, jener der 70- bis 79-Jährigen gut 35 Prozent, jener der über 80-Jährigen 49 Prozent. Ganz anders präsentiert sich die Situation bei den jüngeren Altersklassen: 3,6 Prozent der Todesfälle entfallen auf die 50- bis 59-Jährigen, 0,9 Prozent auf die 40- bis 50-Jährigen, 0,2 Prozent auf Personen zwischen 30 und 40 Jahren.
Über die Hälfte der Verstorbenen, bei denen dies mit den Krankenakten nachgeprüft werden konnte, litten unter drei oder mehr Vorerkrankungen, ein Viertel hatte zwei und ein Fünftel eine Vorerkrankung. Drei Viertel der Verstorbenen hatten hohen Blutdruck, ein Drittel war herzkrank oder hatte Diabetes. Die Medianzeit zwischen dem Auftreten von Krankheitssymptomen bis zum Tod betrug neun Tage: vier Tage bis zur Hospitalisation, fünf Tage Spitalpflege. Die vielen Schreckensmeldungen über Junge, die von der Seuche hinweggerafft würden, spiegeln sich in den Zahlen also nicht. Das heisst nicht, dass nicht auch jüngere Menschen im Krankenhaus behandelt werden müssen. Doch bei ihnen führt die Lungenkrankheit so gut wie nie zum Tod. Von den rund zwanzig Todesopfern in Italien, die weniger als vierzig Jahre alt waren, hatten laut ISS viele schwere Vorerkrankungen. Das ist ein Fakt, an den man sich halten kann.
Unklarheit herrscht dagegen über die Todeszahlen. Jeder Patient, bei dem man das Virus nachweist, gilt heute generell als Covid-19-Fall . Das unabhängig davon, ob andere Leiden vorgelegen haben (was, wie erwähnt, laut den italienischen Daten grossmehrheitlich der Fall ist) und ob das Virus oder die Vorerkrankungen die eigentliche Todesursache waren. Die Covid-19-Todeszahlen, so vermuten Skeptiker, dürften demnach deutlich zu hoch angesetzt sein. Das Bundesministerium für Gesundheit liefert bisher keine Informationen zu den Vorerkrankungen der Verstorbenen. Laut Auskunft des Robert Koch-Instituts gilt jeder Verstorbene, der bereits krank war und positiv auf Corona getestet wurde, offiziell als Covid-19-Todesfall. Auch wenn man nicht weiss, welchen Anteil die Lungenkrankheit am Tod tatsächlich hatte und ob sich das Virus vielleicht nur zufällig zum Todeszeitpunkt im Patienten befand.
Nicht nur die Zahl der Menschen, die effektiv durch das Coronavirus sterben, ist mit Fragezeichen behaftet. Auch wie viele Personen sich bisher infiziert haben, liegt im Dunkeln. Die Zahl der positiv Getesteten sagt wenig darüber aus, wie viele Menschen tatsächlich schon in Kontakt mit dem Virus gekommen sind. Laut dem Infektiologen Pietro Vernazza, Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen, ist denkbar, dass fast 90 Prozent der Corona-Infektionen unbemerkt bleiben.
Vernazza stützt sich auf eine in der Fachzeitschrift Science publizierte Studie zur Ausbreitung von Covid-19 in China. Dies würde auch erklären, dass die Infektionszahlen in China nach einigen Wochen gegen null gesunken seien: «Denn mit einer Immunitätsrate von weniger als 1 Prozent der Bevölkerung kann man das nicht erklären.»
Tatsachen geschaffen
In Italien geht man ebenfalls von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. So hält der oberste Corona-Krisenmanager Angelo Borrelli ein Verhältnis von eins zu zehn – ein getesteter auf zehn nicht getestete Infizierte – für glaubhaft. In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse aus der italienischen Ortschaft Vo’ in der Provinz Padua, die zu einem der ersten Corona-Herde in Italien zählte und wo alle über 3000 Einwohner getestet wurden. Von jenen mit positivem Resultat wiesen 50 bis 75 Prozent keinerlei Symptome auf: Sie waren infiziert, aber nicht krank.
Die positiv auf das Virus Getesteten dürften also nur einen kleineren Teil aller Infizierten ausmachen, während der grössere Rest in den Zahlen nicht aufscheint. Das relativiert natürlich auch die Sterblichkeit. Kommt hinzu: Wenn nicht breit getestet wird, sondern nur Personen auf das Virus untersucht werden, die krank geworden sind, lässt dies die Sterblichkeit nochmals deutlich höher aussehen. Wie es um die Mortalität bei der Virusansteckung steht, weiss man also nicht. Während die einen Experten von rund einem Prozent ausgehen, setzen die anderen den Wert zehnmal tiefer an: Demnach würde ein Infizierter von tausend sterben, wie bei einer saisonalen Grippe.
Das europäische Monitoring zur Übersterblichkeit (Euro-Momo) hilft in Sachen Covid-19 noch nicht weiter, eine exzessive Mortalität in den einzelnen Ländern lässt sich den Zahlen bisher nicht entnehmen. In Italien allerdings stelle man einen Anstieg der Übersterblichkeit fest, heisst es im letzten Euro-Momo-Bulletin.
Die hohe Dunkelziffer von stillen Infektionen, von der man ausgehen muss, lässt Zweifel aufkommen, dass man die Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung überhaupt noch verhindern kann. Während Ökonomen und Virologen darüber streiten, ob man weiterhin gezielt auf Eindämmung setzen muss oder ob die gezielte Durchseuchung der Bevölkerung eine akzeptable Lösung wäre, hat der Erreger möglicherweise schon unumkehrbare Tatsachen geschaffen. Man weiss es einfach nicht.
Doch etwas weiss man heute: Ältere Menschen mit Vorerkrankungen sind speziell gefährdet, der Rest der Bevölkerung – Kinder, Jugendliche, Erwachsene im Arbeitsalter – ist es nicht. Vor diesem Hintergrund lässt es sich schlicht nicht rechtfertigen, alle Menschen wie die Risikogruppe zu behandeln und wochenlang hinter Schutzmauern zu sperren. Und ohne den Ernst der Viruserkrankung herunterspielen zu wollen, sollte man die Relationen nicht vollständig aus den Augen verlieren. Bis heute wurden in Deutschland rund 1100 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 verzeichnet, rund 95 Prozent der Verstorbenen waren älter als 70 Jahre. Zum Vergleich: Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 890.000 Menschen, mehr als 800 000 davon sind älter als 65 Jahre. Im Januar 2020, als Corona Deutschland noch nicht beschäftigte und die Todesfallzahlen noch niemanden kümmerten, waren es landesweit rund 75.000 Tote.

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