Ein Abschied von der Wirklichkeit

Dass die Zusammensetzung der von der Ampelkoalition berufenen „Expertenkommission“ eine gewisse ideologische Vorfestlegung verrät, sollte niemanden verwundern. Jede Regierung stellt sich eben ihre Expertenkommissionen so zusammen, wie sie es braucht. Der Versuch, der Abtreibung den Anschein der „moralischen Unbedenklichkeit“ zu verleihen, kann aber auf diese Weise nicht gelingen. 

Im Übrigen wird auch für eine derart einseitig besetzte Kommission die Erarbeitung eines Vorschlages, „Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln“, nicht ganz einfach werden. Es ist nämlich kein Zufall, dass das Verbot der Abtreibung sich in jenem Abschnitt des Strafgesetzbuches findet, der den Titel „Straftaten gegen das Leben“ trägt. Die Redaktoren des StGB sind zurecht von der wissenschaftlichen Evidenz ausgegangen, die auch heute von niemand dem ernstlich in Zweifel gezogen werden kann, dass das Kind im Mutterleib nichts anderes als ein Mensch im frühesten Stadium seiner Entwicklung ist. Er ist kein Bakterium, keine Amöbe, keine Pflanze  und kein Tier, das sich erst in irgendeinem späteren Stadium zum Menschen entwickeln wird, sondern trägt vom Zeitpunkt der Verschmelzung der elterlichen Keimzellen eine einzigartige menschliche DNA in sich. Nicht nur das: Er muss sich in der Gebärmutterschleimhaut erst einnisten (Nidation), woraus folgt, dass er nicht einfach ein Teil der Mutter ist, den man wie ein Geschwür „wegoperieren“ könnte, sondern ein von ihr separates menschliches Lebewesen.

In diesem Zusammenhang ist die derzeit geltende Regelung in Paragraf 218 StGB auch zu lesen und zu interpretieren. Wer abtreibt oder eine Abtreibung in Auftrag gibt, der tötet einen Menschen. Aus diesem Grund ist Paragraf 218 auch eigentlich kein „Abtreibungsverbot“, sondern eher eine „privilegierende“ Sondernorm. Als privilegierend kann sie deswegen bezeichnet werden, weil sie gegenüber der allgemeineren Norm zum Schutz des menschlichen Lebens, dem Verbot des Mordes (§ 211), eine wesentlich geringere Strafdrohung enthält; aus demselben Grund könnte sie freilich auch zurecht als diskriminierende Sondernorm gesehen werden, denn die Privilegierung des einen ist stets auch die Benachteiligung des anderen: Wenn unsere Rechtsordnung für alle Menschen denselben Rechtsschutz garantieren wollte, dann bräuchte es Paragrafen 218 nicht, und der Schwangerschaftsabbruch wäre mit lebenslangem Freiheitsentzug zu bestrafen. Wenn man die Auffassung vertreten wollte, dass die Tötung eines wehrlosen Kindes im Mutterleib aus irgendeinem Grund nicht als „heimtückisch oder grausam“, und der Abtreibungsarzt beziehungsweise seine Auftraggeberin somit nicht als „Mörder“ anzusehen sei, dann würde immer noch § 212 StGB eingreifen, der für denjenigen, der „einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein“ eine „Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren“ vorsieht.

Bei Streichung der die Abtreibung begünstigenden Sondervorschriften in den Paragrafen 218 und 218a wäre also dies die Mindeststrafe für eine Abtreibung. Die ersatzlose Abschaffung dieser Sondervorschriften würde daher den Schutz des ungeborenen Lebens stärken, statt ihn auszuhebeln. Das wäre aber gerade nicht im Sinne der Bundesregerung, der es ja darum geht, ungeborenen Kindern den Schutz der Gesetze zu entziehen. Solange nicht Mord und Totschlag generell legalisiert werden sollen, ist die teilweise oder totale Legalisierung der vorgeburtlichen Kindstötung stets nur als Ausnahme vom allgemeinen Tötungsverbot denkbar, die folglich auch mit zwingender Notwendigkeit im Strafrecht verankert sein muss. Es ist daher nicht so recht zu erkennen, wie das Ansinnen, „den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts zu regeln“, verwirklicht werden kann. Der einzig denkbare Weg dorthin bestünde wohl darin, an irgendeiner Stelle der Rechtsordnung eine neuartige Legaldefinition zu verankern, die das ungeborene Kind generell aus dem Kreis der „Menschen“ ausschlösse: „Ein Mensch gilt dann nicht als Mensch, wenn...“.

Ein solcher Regelungsansatz läge natürlich nicht nur im Interesse der Abtreibungslobby, sondern auch der gewerblichen Reproduktionsmedizin, der Leihmutteragenturen und der pharmazeutischen Industrie: Sie würden dadurch völlig unbeschränkten Zugriff auf den menschlichen Embryo erhalten, der damit gewissermaßen zum Rohstoff und zur Handelsware degradiert werden würde. Wenn der Embryo kein Mensch mehr ist, dann gibt es keinen Grund, ihn anders zu behandeln als irgendeine Sache, die für Geld gekauft und verkauft werden kann.

Die Abtreibungslobby steht hier nicht vor einer politischen oder juristischen Hürde, die sie dank ihrer vielen Verbündeten in Politik und Medien leicht überwinden könnte; vielmehr ist ihr Problem ontologischer Natur: Es ist jedermann klar, dass das ungeborene Kind ein Mensch ist. Kein Gesetz der Welt kann dieses simple Faktum ändern; es wäre letztlich nur ein Selbstbetrug. Eine Regelung, mit der der Gesetzgeber nach willkürlichen Kriterien eine bestimmte Kategorie von Menschen zu Nicht-Menschen erklären würde, um sie dadurch vom Schutz der Gesetze auszuschließen, wäre genauso wirklichkeitsfern und vernunftwidrig wie die Behauptung, dass Erde und Sonne sich gemeinsam um den Mond drehen. Diese Loslösung der gesamten Rechtsordnung von der jedermann bekannten Wirklichkeit ist offenbar der Preis, den die Bundesregierung zahlen will, um sich das Faktum der vorgeburtlichen Kindstötung schönzureden.













Kommentare

Beliebte Posts