Sellners Erwachen – oder die Hoffnung auf ein Volk, das längst sediert wurde
Der konservative Publizist und Aktivist Martin Sellner schreibt auf X:
"Eines Tages werden sie alle aufwachen.
Sie werden die Videos sehen, die Bilder, die Schlagzeilen, die Zahlen.
Alles, was wir ihnen seit Jahren sagen – und sie ignorieren.
Es wird sein, als wären sie plötzlich nicht mehr blind. Sie werden voller Schuldgefühle & voller Zorn sein. Und dann wird sich rasch alles ändern.
Der Tag wird kommen."
(@Martin_Sellner, 25.09.2025)
Ein schöner Satz. Ein Satz mit Schicksalsmelodie. Ein Satz, wie geschaffen für Telegram-Motive und letzte Lagerfeuerromantik.
Und ja – vor zehn Jahren, 2015, hätte ich ihn unterschrieben. Heute, 2025, klingt er wie eine Litanei an eine Nation, die längst nicht mehr schläft, sondern sediert wurde.
Denn wovon redet Sellner? Vom Erwachen? Die Menschen sehen ja längst. Sie wissen. Sie lesen Schlagzeilen über Bosch-Stellenabbau, sie beobachten importierte Gewalt in Stadtbildern, sie hören von Straftätern, die eingeflogen statt abgeschoben werden. Die Realität liegt auf dem Tisch – aber sie löst keine Handlung mehr aus. Das Problem ist nicht Blindheit. Es ist Verhärtung.
Wir leben nicht in einer Phase der Täuschung. Wir leben im Zeitalter der Ignoranz mit Ankündigung.
„Sie werden voller Schuldgefühle & voller Zorn sein“ – Wirklich?
Ein schöner Traum, Martin. Wirklich. Aber warst du 2021 in diesem Land? Hast du gesehen, wie nach zwei Jahren Corona-Panik niemand Buße tat?
Keiner der Schreihälse machte den Mund auf und sagte: „Ich lag falsch. Ich war Teil einer Hysterie.“
Im Gegenteil – dieselben Menschen, die Masken feilboten wie Hostien, verachten heute jene, die vor ihnen gewarnt hatten.
Schuldgefühl ist nicht die Währung dieser Zeit. Selbstgerechtigkeit ist es.
Also warum sollten jene, die heute Gewalt importieren, morgen Einsicht exportieren?
Warum sollten jene, die jetzt noch „Nie wieder!“ brüllen, irgendwann „Zu spät!“ flüstern?
Diese Republik ist nicht aufgewacht. Sie hat sich ihr eigenes Schlaflied komponiert:
„Ja, es ist schlimm. Aber irgendwer wird sich schon kümmern.“
Der große Irrtum des Erwachens
Sellner glaubt an einen Tag X – ich glaube an ein System ohne Bremse.
Ein System, das keine Verantwortung mehr kennt, nur Fortsetzung.
Selbst wenn morgen alle Nachrichten im Staatsfunk verkünden: „Ja, wir haben gelogen“ – glaubst du, es gäbe Konsequenzen?
Nein. Es gäbe Talkshows.
Es gäbe Betroffenheitsmienen.
Und am Ende gäbe es die gleiche Leier wie immer:
„Aber trotzdem waren die Warner von damals Nazis. Da müssen wir schon differenzieren.“
Die Gefahr liegt nicht im Nichtwissen – sondern im Nicht-Handeln
Sellner schreibt: „Und dann wird sich rasch alles ändern.“
Falsch. Nichts wird sich ändern. Nicht rasch. Nicht langsam.
Denn dieses Land ist kein Dampfer, der vom Kurs abkam. Es ist ein Frachter mit Loch im Rumpf – und die Crew diskutiert über gendergerechte Schwimmwesten.
Wer glaubt, Erkenntnis führe automatisch zu Umkehr, hat die Psychologie der bequemen Masse nicht verstanden.
Das Kind fällt nicht in den Brunnen. Es baut sich um ihn herum ein Café.
Hoffnung? Ja – aber nicht auf den Tag ihrer Reue
Ich wünsche Sellner Recht. Von Herzen.
Aber Hoffnung ist kein Ersatz für Mechanik.
Und Erlösung ohne Struktur bleibt Esoterik.
Unsere Aufgabe ist: Bewahren, was wahr ist. Sprechen, was gesprochen werden muss. Und standhalten, wenn sie uns dafür kreuzigen.
Denn vielleicht – ganz vielleicht –
kommt der Tag, an dem ein Einzelner aufschaut und sagt:
„Warum hat uns niemand gewarnt?“
Dann wird jemand antworten müssen:
„Wir haben euch gewarnt. Ihr wolltet nur nicht hören.“
Hoffnung ist kein Gefühl.
Hoffnung ist Pflicht.
Paulus schreibt an die Römer: »Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!«
Ohne Geduld und beharrliches Gebet wird es nicht funktionieren mit der Hoffnung. Vielleicht gelingt es uns unseren zornigen Geist einfangen und diesen inneren Wüterich zur Geduld und zum Gebet zwingen. Aber Paulus sprach nie von einem Erwachen der Massen, sondern von einer Erlösung der Standhaften.
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